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Wenn das Theater zum Studio wird …

Wenn das Theater zum Studio wird …

Till Sailer, Vera Kissel und Jana Franke (vlnr)

Foto (c) Carmen Winter

7. Dezember 2021

von Vera Kissel

HU-HU! JA-NA! HI-HIER!

JA-HA! 

Wir hatten es gefunden, besser gesagt – sie: Die Kulturmanufaktur Gerstenberg in Frankfurt/Oder. Ganz hinten auf dem weitläufigen Gelände der ehemaligen Möbelfabrik Mantz & Gerstenberger. Erst rechts, dann links um die Ecke eines Ziegelbaus, einst Maschinenraum der Fabrik, und schon zeigten hell erleuchtete Fenster und eine Lichterkette, wo es lang ging. Linda Pickny vom Betreiberteam empfing uns und umhüllte uns sofort mit wärmender Gastlichkeit. Und dann waren wir bald komplett: Jana Franke, Till Sailer und ich als Vorlesende. An unserer Seite Carmen Winter, die den Abend moderieren sollte. Mit ihm würde sich ein Kreis schließen. Denn die Premiere der Lesereihe „Hier ist herrlich arbeiten“ hatte bereits in Frankfurt/Oder stattgefunden, nun auch die vorläufige Dernière. Für dieses Jahr. Drei noch geplante Lesungen mussten mitten in der vierten Coronawelle ins nächste Jahr verschoben werden.  

Wir hockten bereit in unseren Lesesesseln.

Wer nicht kam, war das Publikum. 

Was tun?

Lesen, dafür waren wir schließlich hier! 

Mitbetreiber Thomas Strauch baute kurz entschlossen zwei Mikrophone auf und erklärte das Theater zum Studio. Wir würden eine Audioaufnahme der Lesung machen, um sie als Podcast auf den Blog des Literaturrats zu stellen. 

Die Aufnahme lief! 

Kaum hatten wir begonnen, stellten sich die erwarteten Gäste ein – mit akademischem Viertel. Wie hätte es auch anders sein können in einer Universitätsstadt. 

Publikum!

Das spornte die Vortragenden an, ein Mikro kann schließlich nicht applaudieren. Und so blätterten wir weiter durch den literarischen Bilderbogen Brandenburger Autorinnen und Autoren. Lasen unsere eigenen Texte und liehen unsere Stimmen auch den Texten von Jurij Koch, Malou Berlin, Matthias Körner, Reinhard Stöckel, Astrid Böger, Ines Gerstmann, Dietmar Schultke und Hartmut Schatte. 

Nach der Lesung entspann sich zwischen Till Sailer und den Gästen ein lebhaftes Gespräch, etwa darüber, ob und wie das Vorlesen einen Text verändern kann. Da saßen Jana Franke und ich leider längst im letzten durchgehenden Zug nach Potsdam. Fest entschlossen, zurückzukehren, um diesen wunderbaren Theaterraum in Frankfurt/Oder wieder mit unseren literarischen Stimmen zu füllen.

 

Bossa Nova in der Sofaecke. Bibliothek Stahnsdorf

Bossa Nova in der Sofaecke. Bibliothek Stahnsdorf

Christian Pross, Vera Kissel, Reinhard Stöckel, Reglindis Rauca, Christiane Golz (v.l.n.r)

Foto (c) Anne Koepke

18. November 2021

von Reinhard Stöckel

Dunkel war es und regnerisch, als wir von Cottbus kommend an diesem Novembernachmittag südlich von Berlin in ein Labyrinth aus Schnell- und Ortsumgehungsstraßen gerieten. Unverdrossen führte uns unser elektronischer Navigator, trotz verpasster Abfahrten schließlich doch zum Ziel. Und wieder einmal stellte ich meiner Begleiterin die rhetorische Frage: Wie haben wir früher sowas bloß geschafft, ohne Navi? 

Vielleicht auch mit papiernen Hinweisen, wie solche am Eingang zum Stahnsdorfer Gemeinamt: ein dicker roter Pfeil und der gute Rat zur Bibliothek, den Hintereingang zu benutzen. An der Hintereingangstür noch mehr Zettel: Kein Eingang! Öffnungszeiten Bibliothek. Einlass nur zu vollen Stunde!  – Man ließ uns trotzdem ein. Dann standen wir in der kleinen und gemütlichen Gemeindebibliothek, die liebevoll eingerichtet mit einer Sofaecke zum Verweilen und Lesen einlädt.  Es scheint, dass der „Bücherbaum“, der das Logo der Bibliothek ziert, von den beiden Bibliothekarinnen, Frau Golz und Frau Koepke engagiert gepflegt wird. Davon zeugen auch ihre Social-Media-Aktivitäten und vorallem die monatlichen „Geschichten aus der Sofaecke“.

Für den Novembertermin hatte uns Reglindis Rauca dieses Leseplätzchen vermittelt, um dort gemeinsam mit Vera Kissel und mir die Geburtstagsanthologie des VS vorzustellen. Im Sitzungssaal der Gemeindevertreter, wo die Veranstaltung an diesem Abend stattfinden sollte, stand schon ein Weihnachtsbaum und der Musiker, Christian Pross, war dabei seine Beiträge technisch vorzubereiten.

Nach und nach füllte sich der für uns separierte Teil des Saales mit gut 20 Gästen, Frau Golz begrüßte alle freundlich und stellte uns kenntnisreich vor. Und dann, sollte jemand noch mit Novemberblues im Gemüt angekommen sein, vertrieb den Christian Pross mit dem „Girl From Ipanema“

Wie gute Tradition auf dieser Lesereise, lasen wir neben den eigenen Texten, auch die von anderen Kolleginnen und Kollegen, die in der Anthologie vertreten sind. Zwischendurch wieder Saxophon- und Gitarrenklänge – und einmal sogar mittendrin, nein, Christian Pross saß still auf seinem Stuhl. Das kam von draußen aus dem Gang, leise Musik und Türenklappen. Nachdem Frau Golz kurz dorthin verschwunden war, trat Ruhe ein. Hinterher erfuhren wir, es war die Putzfrau gewesen. Nun, sagte Frau Golz sinngemäß, man muss halt ein bisschen Klappern, dann wird die eigene Arbeit umso besser wahrgenommen. Vielleicht, so meinte jemand, hat ja der Bürgermeister in seinem Büro die Stimmen und den Bossa Nova aus der Sofaecke vernommen und gedacht: Sieh da, sieh da, die Bibliothek! Ist doch gut, dass wir sie haben. Frau Golz jedenfalls befand, der Abend sei ein schöner Abschluss ihrer diesjährigen Lesereihe gewesen. Und auch die Gäste machten sich offenbar zufrieden und angeregt auf den Heimweg in die Novembernacht hinaus.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Elstermühle wird zum Schriftstellerhaus

Die Elstermühle wird zum Schriftstellerhaus

Autorin und Autoren im angeregten Gespräch

Foto (c) Ingrid Kaech

18. November 2021

von Carmen Winter

„Wenn ich noch einmal ein junger Schriftsteller wäre“, meinte Till Sailer am Morgen nach der Lesung aus unserer Anthologie „Hier ist herrlich arbeiten“ in der Plessaer Elstermühle, „würde ich hier gern an meinem ersten Roman arbeiten.“

Die Lesung am Abend zuvor fand im Kaminzimmer statt. Ingrid Kaech und Andreas Werner hatten fleißig Werbung für die erste Lesung in ihrem neuen Domizil gemacht. Nun ließen sich die Gäste am wärmenden Feuer nieder. „Der Titel der Anthologie“, so Ingrid Kaech in ihren einführenden Worten, „könnte auch als Motto für die Mühle stehen.“ Denn sie soll ein Arbeits- und Begegnungsort für Schriftstellerinnen und Schriftsteller werden. Hierher können Gruppen kommen, die sich über Texte und das Schreiben austauschen wollen, hierher können sich Autorinnen und Autoren zurückziehen, um ungestört an ihren Manuskripten zu arbeiten.

Wir freuten uns, dass wir diejenigen sein durften, die zur ersten öffentlichen Lesung in der Elstermühle eingeladen waren. Till Sailer, Thomas Bruhn und ich lasen die eigenen Texte aus der Anthologie und die Texte von Astrid Böger, Matthias Körner, Jana Weinert, Reinhard Stöckel, Erhard Scherner und Hartmut Schatte.

Die Plessaer, die zur Lesung gekommen waren spendeten reichlich Applaus. Sie freue sich, dass sie einmal nicht erst irgendwohin fahren müsse, um Kultur zu erleben, meinte eine Frau aus dem Publikum. Lange plauderten die Zuhörer noch mit uns über unsere Texte, über das große Kulturhaus, dass hier seit 1960 steht und das neu eingerichtete Bücherstübchen und das Jugendleben im Dorf.

Und weil auch wir diesmal nicht gleich wieder den Heimweg antreten mussten, sondern die Übernachtungsmöglichkeiten im zukünftigen Schriftstellerhaus nutzen konnten, wurde es ein langer Abend. Beim Frühstück nahmen wir die Gesprächsfäden wieder auf. Wir ließen uns noch die Mühle, das Museum, den Garten und das Sägegatter zeigen. Graue Wolke und Nieselregen konnten unsere gute Laune auf der Heimfahrt nicht trüben. Hier wird in Zukunft Literatur entstehen und diskutiert werden, das macht uns optimistisch.

 

 

 

 

 

 

 

Lesung im Wriezener „Plauderstübchen“

Lesung im Wriezener „Plauderstübchen“

Malou Berlin, Carmen Winter, Matthias Körner (v.l.n.r.)

Foto (c) Dagmar Körner

29. Oktober 2021

von Malou Berlin

Ein Plauderstübchen hatte ich mir anders vorgestellt: eng, verwinkelt und schummrig. Doch der zu drei Seiten verglaste Raum streckte sich, als wolle er möglichst viel vom warmen Herbstlicht in sich aufzunehmen. Zu den zwei Dutzend Menschen, die zur Lesung gekommen waren, passte der Ausdruck genau: Man kennt sich, man mag sich, man plaudert miteinander.

Eingeladen hatten Mareike Brune-Böttcher, Vorsitzende des Fördervereins „Hospital St. Marien, Seniorentreff Plauderstübchen“ und Peter Agsten, Vorsitzender des VdK, Kreisverband Märkisch-Oderland. Die in diesem Jahr erschienene Anthologie „Hier ist herrlich arbeiten. Begegnungen mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus Brandenburg“ wurde von Carmen Winter, eine der Herausgeberinnen, vorgestellt. Sie selbst sowie Matthias Körner und Malou Berlin lasen ihre eigenen und andere Texte aus dem Band. Kein Stühlerücken war zu hören, kaum ein Räuspern, und auch die von Frau Brune-Böttcher angebotenen Getränke waren den Zuhörenden nicht mehr wichtig. Als wollten sie so viele Worte wie möglich in sich aufnehmen. Wie der Raum die Herbstsonne.

 

 

 

 

 

Künstlerischer Mehrklang in der Kunsthalle Brennabor.

Künstlerischer Mehrklang in der Kunsthalle Brennabor.

Ingrid Protze, Elke Hübener-Lipkau, Reglindis Rauca, Christian Pross (v.l.n.r.u.)

Foto (c) Günther Döring

03. Oktober 2021

von Ingrid Protze

Saxophonklänge flossen auf den großen Innenhof der ehemaligen Brennaborwerke der Stadt Brandenburg und lockten sowohl Schrifsteller*innen als Besucher*innen in den 1. Stock zur Lesung in die moderne Kunsthalle Brennabor.
Trotz des letzten warmen Sommersonntagnachmittags am Tag der deutschen Einheit fiel es den Protagonistinnen leicht, in dieser künstlerischen Umgebung für die Anthologie „Begegnungen mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus Brandenburg“ mit dreißig Texten aus dreißig Jahren VS Brandenburg zu werben.
Reglindis Rauca hatte nicht nur Ihre Schriftstellerkolleginnen zu dieser Lesung eingeladen, die ihre eigenen Texte, Kurzprosa bzw. Essay, vorlasen, sondern moderierte zugleich die Veranstaltung.

Die Instrumentalmusik von Gitarre und Saxophon, gespielt von Christian Pross, gab den Ton vor für die einzelnen Lesungen der drei Autorinnen Reglindis Rauca, Elke Hübener-Lipkau und Ingrid Protze. Zwischen die abwechslungsreichen Lesungen floß u.a. Mercedes Sosa’s Lied von Argentinien her in Wellen über den Atlantik, die sich ins tiefe, unergründliche Blau der von Annette Selle ausgestellten Meeresbilder mischten.

Da jede Autorin jeweils noch zwei weitere Autor*innenstimmen ertönen ließ, erhielten die Zuhörer*innen ein aussagekräftiges und repräsentatives Bild von der Anthologie. Beim Signieren erfuhren die Akteurinnen, daß ihr lesemusischer Nachmittag Anklang gefunden hatte, der nicht zuletzt der Organisatorin Anja Thurm vom Freundeskreis der Kunsthalle Brennabor e.V. zu danken ist. Am Ende erlebten alle Beteiligten einen künstlerischen Mehrklang aus Musik, Literatur und Malerei, vervollkommnet durch die Skulpturen von Claudia Güttner

 

 

 

 

Wozu die Wörter gut sind. Ein Brandenburger in Salzburg.

Wozu die Wörter gut sind. Ein Brandenburger in Salzburg.

Anton Thuswaldner, Reinhard Stöckel (v.l.n.r.)

Foto (c) Kerstin Stöckel

16. Septmeber 2021

von Reinhard Stöckel

Barocker Prunk und jedes Jahr ein Jedermann geläutert auf den Stufen des Doms. Soweit mein Vorurteil. Salzburg schien mir keine Reise wert.  Nun aber hatten sie mich eingeladen, Frau Müry und Frau Dr. Dürnberger, Verlegerin und Lektorin des Müry Salzmann Verlags. Endlich sollte, was von Corona bereits zweimal vereitelt worden war, wahr werden. Eine Lesung. In Salzburg. Sprunghaft gewann die Stadt für mich, dem nach Publikum dürstenden Autor, an Attraktivität. Zu danken war dies auch der Aktion #zweiterfrühling des Netzwerks der Literaturhäuser e.V. und dem Neustart Kultur des Deutschen Literaturfonds e.V.

Bücher, sorgfältig editiert und schön gestaltet, bringt der Müry Salzmann Verlag seit 2009 heraus. Gegründet von der Verlegerin Mona Müry und dem Unternehmer Christian Dreyer alias Salzmann liegt der Verlagsschwerpunkt auf Theater, Literatur und Kunst, Geschichte und Lebensart. Das 20. Jubiläum fiel mit der Notwendigkeit zusammen, neue Räume zu beziehen. Die befinden sich nun, dank einer glücklichen Fügung, in einer ehemaligen Tischlerei zu Füßen des Kapuzinerbergs. Dort lagen, als ich eintraf, verlockend hingebreitet die neusten Bücher auf einem Tisch im extrazimmer.  Ein Extrazimmer, erfuhr ich, entspreche in etwa dem deutschen Begriff des Hinterzimmers, also einem Ort für Glückspieler, Vereinsmeier und Verschwörer, so das Klischee. Dieses extrazimmer jedoch ist ein Raum für das öffentliche Gespräch über Kunst und Literatur, hier nämlich ist eine kleine Galerie zu Hause, die gleichzeitig einen attraktiven Rahmen für Veranstaltungen des Verlages bietet.

Passend zum jüngsten Projekt einer Anthologie anlässlich des 150. Geburtstages Marcel Prousts servierte mir Frau Müry eine Madeleine, jenes Gebäck, dass Proust inspirierte, sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit zu begeben. Die Madeleine und auch der Braune, halbe-halbe Kaffee und Milch, schmeckte. So saßen wir im extrazimmer, sprachen über Dialekte, die mal als Stigma, mal als Bereicherung empfunden werden, in denen einzelne Wörter schon absondern oder verbinden. Nicht von ungefähr kamen wir auf die Affinität der Österreicher zu Ostdeutschland zu sprechen. Mit Eleonora Hummel, Jens Wonneberger und mir hat der kleine Verlag drei ostdeutsch sozialisierte Autorinnen und Autoren im Programm. Und wie ein Willkommensgruß für einen Brandenburger hingen da Fotografien mit Motiven aus der Uckermark. Dort hatte der österreichische Fotograf Peter Hellekalek den Stand der Dinge dreißig Jahre nach der Wende dokumentiert. Ruth Mätzler, Autorin und Galeristin konstatierte anlässlich der Ausstellung: „Während die Westdeutschen nach wie vor als die ‚wahren Deutschen‘ erscheinen, bleibt ‚der Ostdeutsche‘ … immer noch ‚der Ostdeutsche‘, so als handele es sich um eine Art exotische Sonderform.“

Der Literaturkritiker Anton Thuswaldner, der die Lesung moderierte, sprach von der Wildheit der ostdeutschen Literatur.  Bereits 2015 schrieb er in einem Essay über die Verwandtschaft der österreichischen mit der ostdeutschen Literatur: »Die österreichische Literatur gilt als die kleine wilde Schwester der deutschen.“ Während sich die (west-)deutschen Erzähler auf eine moderate Mittellage eingeschworen hätten und auf einen harmonisch ausgewogenen Sprachduktus, neigten die österreichischen dazu, über die Stränge zu schlagen. Die österreichischen Literaten probierten aus, „wozu Wörter gut sind«. Sie griffen – wie die Autoren mit DDR-Hintergrund ­– »Autoritäten indirekt an«.

Nach vier Tagen Salzburg hatte die kulturelle und gastronomische Vielfalt in den Straßen der Stadt, ihre beinahe südländische Lebensart mein eingangs erwähntes Vorurteil schwinden lassen. Vor allem hatte mich die literarische Verbundenheit und freundliche Verbindlichkeit meiner österreichischen Gesprächspartnerinnen und -partner schon ein wenig heimisch gemacht. Das ist, wozu die Wörter gut sind.